Keine historische Gestalt scheint geeigneter als Rosa Luxemburg, zu einem
selbstreflexiblen und von Selbstgerechtigkeit freien Umgang mit der Geschichte zu mahnen. Leben, Tod und Umgang mit ihrem Vermächtnis können für alle Parteien Deutschlands Anlass sein, kritisch mit ihrer Geschichte
umzugehen. Da ist die langjährige Sozialdemokratin, die auf dem linken Flügel ihrer Partei für Antimilitarismus und gegen den Krieg stritt. Da ist die
Mitbegründerin der KPD, die sie lieber Sozialistische Partei genannt hätte und die sie nicht nach dem Vorbild der Bolschewiki gestalten wollte. Da ist die enthusiastische Bewunderin der russischen Revolution von
1917 und die scharfe Kritikerin der diktatorischen Politik der Bolschewiki.
Von der obsiegenden Konterrevolution, deren Söldner Rosa Luxemburg erschlugen, als »blutige Rosa« verleumdet, von den
Nachfolgern ihrer politischen Gegner später mit ihrem berühmtesten Satz gegen den Realsozialismus missbraucht, aber auch von Reformern und Bürgerrechtlern teils zu Recht, teils auch durch sie instrumentalisierend in
Dienst gestellt, wurde sie nach dem Herbst 1989 aus diesem entlassen und figuriert seitdem im konservativ-liberalen Feuilleton wieder als »Antidemokratin«. Hatten doch die demokratischen Sozialisten unüberhörbar den
Anspruch auf ihr Erbe erhoben und trugen bald der PDS nahestehende Stiftungen Rosas Namen. Auch diese aber waren und sind mit diesem Erbe in einer Pflicht, die sie noch einlösen müssen.
Das Unwort vom
Luxemburgismus, das seit der Mitte der zwanziger Jahre die Luxemburg-Rezeption begleitete und das zu einer Zusammenfassung aller Abweichungen vom Marxismus-Leninismus Stalinscher Lesart wurde, ließ die
Luxemburg-Ehrung zu einem leeren Ritual verkommen. Die kommunistische Bewegung hatte sich mit ihrer stalinistischen Erstarrung den Geist Rosa Luxemburgs um den Preis der eigenen Sterilität ausgetrieben. Das
Wiedergewinnen des Erbes Rosa Luxemburg durch die sozialistische Linke schließt insofern eine andauernde, kritische Beschäftigung mit der eigenen Geschichte ein.
Für die PDS kann diese Debatte ein nützlicher
Katalysator zum Voranbringen ihrer Traditionskritik sein. Moderne sozialistische Politik geht nicht überein mit dem Festhalten an lieb gewordenen Geschichtserzählungen. Sie muss im Gegenteil radikal mit dem
Parteityp brechen, der sich unter Thälmanns Führung formierte und der aus der Partei Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts, Paul Levis und Clara Zetkins eine stalinistische Apparatpartei werden ließ, die durch eine
verfehlte Politik gegenüber der Sozialdemokratie und anderen antifaschistischen Kräften Mitverantwortung trug, dass es den Nationalsozialisten gelang, an die Macht zu kommen. Diese Tatsachen dürfen nicht verdrängt
werden durch die unbestreitbare Tatsache, dass es die Kommunisten waren, die den höchsten Blutzoll im Kampf gegen den Hitlerfaschismus erbrachten.
Eine solche kritische Sicht auf die Geschichte des deutschen
Kommunismus schließt jedoch auch eine andere Seite ein. Die sozialistische Linke steht in der Pflicht, sich entschiedener die geschichtlichen Erfahrungen innerhalb des deutschen und internationalen Kommunismus zu
erschließen, die vom dominierenden Stalinismus marginalisiert, verdrängt, verschwiegen, aus der Erinnerung getilgt wurden. Es ist mit Peter Weiss nach »der Linie Luxemburg – Gramsci« zu fragen, es ist zu fragen nach
jenen Kräften, für die z.B. die Weimarer Republik nicht nur der Kampfboden für die Diktatur des Proletariats, sondern eine gegen rechts zu verteidigende Errungenschaft war, die in der Einheitsfrontpolitik nicht eine
Methode zur Zerschlagung des Masseneinflusses der Sozialdemokratie, sondern einen Politikstil sahen, um gemeinsam mit der Sozialdemokratie Ziele im Interesse der Bevölkerung zu erreichen, die einzeln nicht
realisierbar waren. Es ist schließlich nach den Erfahrungen zu fragen, die Kommunisten wie Sozialdemokraten aus den seltenen Konstellationen ableiteten, in denen Zusammengehen und Koalitionen Möglichkeit oder
Realität waren.
Klaus Kinner, in: Neues Deutschland vom 12.01.02
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