Lesung und Diskussion:
Pinar Selek
“Zum Mann gehätschelt, zum Mann gedrillt“
Die bekannte türkische Soziologin Pinar Selek wird ihre gleichnamige Studie über das Männerbild in der türkischen Gesellschaft und insbesondere ihre Prägung durch die Armee
vorstellen. Der Eintritt in die Armee heißt im Türkischen wörtlich: „Man ergibt sich“. Der Soziologin und Sachbuch- autorin Pinar Selek, zurzeit Stipendiatin des P.E.N. in Berlin, droht in der Türkei erneut ein
absurder Prozess. Schon 1998 geriet sie in den Apparat der türkischen Justiz und wurde unter Anklage für ein angebliches Bombenattentat gestellt. „Mehrfach unschuldig angeklagt“ titelte die Süddeutsche
Zeitung am 13.02.10 in Bezug auf die aktuelle Lage. In ihrem neuen Buch beschäftigt sich Pinar
Selek mit dem Männerbild der türkischen Armee und legt damit eine Innenansicht des türkischen Militärs vor. Durch Gewalt, die als eine rechtmäßige Methode akzeptiert wird, durch Zwang und Maßregelung, aber auch
Bordellbesuche und Besäufnisse, werden aus Jungen Männer gemacht. Dabei hat sich Selek weniger für die Schilderung des Erlebten selbst interessiert, sondern „vielmehr für die Art, in der sich Männer an das Erlebte
erinnern“. Sie behandelt die Armee als zentrale Etappe männlicher Sozialisation. „Die Vaterposition erreicht ein Mann dann, wenn er beschnitten wurde, Wehrdienst geleistet, heterosexuelle Erfahrungen gesammelt und
Arbeit gefunden hat.“ (Selek). Dann erst folge die Endstation: die Ehe. „Der Mann ist die Streitmacht der Familie“ (Selek).
Für ihr Buch hat sie Interviews mit 58 Männern ausgewertet – auf
50 bezieht sie sich in der deutschen Ausgabe – der Älteste ist Jahrgang 1919, der Jüngste Jahrgang 1982. Alle haben an verschiedenen Orten gedient, stammen aus allen Ecken des Landes, gehören unterschiedlichen
Milieus an, repräsentieren das gesamte politische Spektrum. Ihre gemeinsame Erfahrung: Gewalt und Maßregelung. In Erscheinung tritt der türkische Mann als „ramponiertes Wesen“ (Selek). Selbst wenn die nackte Gewalt
in den Kasernen der Westtürkei abgenommen habe, seien die Prinzipien unverändert, denn das Ideal der türkischen Armee bestehe weiterhin nicht darin, die Soldaten zu „Staatsbürgern in Uniform“ zu machen, sondern alle
Bürger zu „Soldaten ohne Uniform“ (Selek). „Ein Mann muss etwas besitzen“, schreibt sie, „egal was, Geld, eine Frau, ein Kind. Ein Mann muss immer stark sein und immer aktiv im Bett und anderswo, sonst wird ihm die
Männlichkeit abgesprochen. Und ein Mann muss bereit sein, was er besitzt, mit seinem Leben zu verteidigen. Für viele ist die Last, ein Mann zu sein, sehr groß. Sie scheitern daran“ (Interview Deutschlandfunk)
Pinar
Selek wurde 1971 in Istanbul geboren, sie ist eine der führenden antimilitaristischen, feministischen Friedensaktivistinnen der Türkei. Sie hat über marginalisierte und diskriminierte Gruppen wie Transsexuelle, Straßenkinder und Prostituierte geschrieben und untersucht Geschlechter- hierarchien. Trotz zweier Freisprüche droht
ihr in der Türkei erneut ein Prozess. Mehr als 2000 Personen, darunter Orhan Pamuk, haben ihre Solidarität mit Pinar Selek bekundet.
Mo. 06.09.10 | 20:00 Uhr Literaturhaus, Schwanenwik 38
Teilnahmebetrag 7€ / ermäßigt 4€
In Kooperation mit dem Literaturzentrum Hamburg
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