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Prof. Dr. med. habil. Dieter
W. Scheuch
Gedanken zum Problem Gesundheit und Altern
Vorangestellt sei: Es geht bei diesem Thema um die Umsetzung
der WHO-Strategie: Gesundheit für Alle, um die Erhaltung und Verbesserung
der Chancengleichheit und sozialen Gerechtigkeit für alle Bevölkerungsschichten
und Generationen. (Einschließlich der in Deutschland lebenden Ausländer!)
Die Senioren sind allerdings durch den Zusammenhang zwischen Altern und
der Zunahme von chronischen Krankheiten und Multimorbidität besonders
stark von der Zugänglichkeit und Qualität des Gesundheitswesens sowie
der solidarischen Finanzierung abhängig.
- Das Menschenrecht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmass
an Gesundheit muss endlich wie die Menschenrechte auf Arbeit, auf Wohnen
als Grundrecht in das Grundgesetz der BRD aufgenommen werden. Diese
bundesdeutschen Defizite gegenüber dem völkerrechtsgültigen Menschenrechtskodex
müssen endlich bereinigt werden. Das erfordert einen massiven Druck
auf die herrschende Politik des Bundes, der Kommunen und Länder.
- Erhaltung des solidarischen Charakters der gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV) und den ungehinderten Zugang zu allen notwendigen wissenschaftlich
begründeten Leistungen des Gesundheitswesens. Erhaltung und Verbesserung
der Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit. Dazu gehört auch die
Bekämpfung von Armut und armutsähnlichen u.a. sozialen Einschränkungen
als wesentlichen Risikofaktor für Gesundheit. Obwohl häufig bestritten,
gibt es in der Bundesrepublik eine Altersarmut. Diese findet man besonders
bei alleinstehenden Frauen, die keine Witwenrente erhalten. Niedrige
aufgefüllte Renten haben seit Jahren keine Anpassung an steigende Lebenshaltungskosten
bekommen. Die jährlichen Erhöhungen werden von den Auffüllbeträgen abgeschmolzen.
Dadurch kommt es zu einer Nettokürzung gerade der niedrigen Renten mit
z.T. erheblichen Einschränkungen besonders im soziokulturellen Bereich
sowie zu Billigernährung mit entsprechenden Qualitätsabstrichen. (u.a.
Fe, Ca, ausgewählte Vitamine) Psychosomatische Krankheiten können auf
dieser Grundlage entstehen, die wiederum zu höheren Kosten und oft Unterversorgung
führen. Durch Budgetierungsprobleme bei den Ärzten werden wiederum oft
gerade alte, multimorbide Patienten durch die schleichende, verdeckte
Rationierung getroffen. Die Beratungs- und Hilfeangebote sind in der
Regel auf den gebildeten Mittelstand angelegt, greifen also nicht bei
dem in Frage kommenden Klientel. (Es stehen nur 5 DM/Person und Jahr
für die Prävention zur Verfügung) Die Lücke in der Chancengleichheit
zwischen betroffenen Gruppen und dem Durchschnitt wird weiter vergrößert.
Besonders würden und werden sich diese Zustände zuspitzen, wenn die
neoliberalen Bestrebungen der FDP, der Unternehmerverbände, der CDU
und Teilen der SPD und Funktionären der Ärzteschaft verwirklicht würden,
zukünftig die Leistungen der GKV auf eine Basisversorgung einzuschränken
und notwendige weitere Leistungen des Gesundheitssystems durch eine
private, nur durch die Versicherten selbst finanzierte Zusatzversicherung
zu ermöglichen. (Vorschlag orientiert sich an Riesters Neuordnung der
Renten) Das Ergebnis wäre ein Mehrklassensystem im Gesundheitswesen
mit erheblichen Problemen für viele leistungsschwache Ältere. Für die
Zukunft wäre das Anwachsen des Anteils der Rentner mit prekären Einkommen
vorprogrammiert mit der Folge einer Erhöhung der Zahl der Sozialhilfeempfänger
und des Anstiegs der verdeckten, verschämten Armut.
- Die Erhaltung und Förderung eines höchstmöglich selbstbestimmten
Lebens mit hoher Lebensqualität erfordert neben einer eigenen gesunden
und aktivierenden Lebensführung auch die Gestaltung von gesundheitsfördernden
und altersgerechten Lebensbedingungen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Diese könnte unter der Federführung und Koordinierung des öffentlichen
Gesundheitsdienstes und des Sozialamtes im Rahmen eines bestätigten
Altenplanes durchgesetzt werden. (Umwelt, Wohnung, Soziokultur) Hier
muss der Sozialstaat seiner Verantwortung zur Förderung und Gestaltung
von Verhältnissen, die die Gesundheit unter Einbeziehung des sozialen
Wohlbefindens erhalten und fördern, gerecht werden. (Stichwort: Verhältnisprävention
unter Einbeziehung der natürlichen und sozialen Umwelt im umfassenden
Sinne) Dazu gehört aber auch die flächendeckende Absicherung mit Begegnungsstätten
und der Zugang zu Mobilität für Gehbehinderte und bei psychischen Beeinträchtigungen.
- Die Stärkung des öffentlichen Gesundheitsdienstes für den Ausbau
einer gesundheitserhaltenden und -fördernden Medizin und Umwelt sowie
als Träger und Koordinator von aufsuchenden Hilfen und Beratungen ist
unerlässlich. Zu denken ist z.B. an die Verwirklichung folgender Gesundheitsziele
(Versorgungsziele): Sicherung eines möglichst hohen Durchimpfungsgrad
für Grippe, Pneumokokken, Hepatitis, Auffrischung Tetanus, Poliomyelitis,
etc. Dazu Nutzung der vorhandenen Strukturen wie der Heime und Begegnungsstätten.
Aufsuchende Dienste für Hochbetagte. Bekämpfung und Prävention nosocominaler
Infektionen in Pflegeheimen und Krankenhäusern. Qualitativer Ausbau
des betreuten Wohnen z.B. mit Beratungs- und Behandlungsdiensten für
das zunehmende Problem Gerontopsychiatrie. Sensible Beachtung von Schnittstellen
zum Übergang zur hausärztlichen Betreuung wie Vorsorgeuntersuchungen:
Brustkrebs, Prostata-, Lungen- und Darmkrebs.
- Förderung von Strukturen, die über einen Hausarzt des Vertrauens als
Partner, Anwalt und Vermittler, den Zugang zu einem integrierten Netz
der ambulanten und stationären Versorgung mit den notwendigen Facharztbereichen
und den dazugehörigen Hilfsleistungen (Physiotherapie, Psychotherapie
etc.) sichern. Für Ältere ist eine solche integrative medizinische Betreuung
besonders wichtig weil in der Regel mehrere Krankheiten und Risikozustände
(über Facharztgrenzen hinweg) gleichzeitig bestehen: Degenerative Arthrosen,
rheumatische Erkrankungen; Osteoporose mit Knochenbrüchen in der Folge
von Stürzen; Adipositas, Fettleibigkeit als Risiko für Altersdiabetes
II; Herzkreislaufkrankheiten, Infarkt, Schlaganfall; Seh- und Hörstörungen;
Gerontopsychiatrische Krankheiten. Für Hochbetagte u.a. Bedürftige sind
aufsuchende Dienste bereitzustellen. Integrative Strukturen sind effektiver
in einer ergebnisorientierten Medizin und deshalb zu fördern. Weiterbildung
und Qualitätskontrollen auf dem Fachgebiet der Geriatrie sind durch
Ärztekammern zu intensivieren. Erprobung von Modellen kooperativer Strukturen.
(Z.B. Altenhilfestrukturen der Zukunft: Geriatrisches Netzwerk Dresden
Nord)
- Gerade für Seniorinnen und Senioren mit einem größeren Bedarf an
medizinischen Leistungen ist eine Stärkung der Patientenrechte dringend
notwendig. Beratung und Mitwirkung bei der Wahl diagnostischer und therapeutischer
Verfahren mit Beachtung der konkreten Situation sollten zum Standard
eines guten Arzt- Patientenverhältnisses gehören. Patientenverfügungen
für die Anwendung oder auch Nichtanwendung von Intensivmedizin und anderen
invasiven Therapien sollten für den Fall des Verlustes eigener Entscheidungsfähigkeit
vorbereitet werden.
- Erhebliche Anstrengungen der Gesellschaft sind notwendig, um für
den letzten Abschnitt des Lebens ein Sterben in Würde zu ermöglichen.
Gegenwärtig sterben in Deutschland die Menschen überwiegend noch in
Krankenhäusern und Pflegeheimen, die in der Regel nicht auf diese Aufgabe
eingestellt sind. Von diesen Tatsachen ausgehend ist es dringend notwendig
allen Sterbenden in stationären Einrichtungen die Würde für den letzten
Abschnitt des Lebens zu gewähren und die dazu notwendigen Voraussetzungen
zu schaffen. Für alle, die es wollen, sollte das Sterben in der vertrauten
Umgebung der Familie oder unter Freunden ermöglicht werden. Dazu bedarf
es des Ausbaus ambulanter für eine humane Sterbebegleitung qualifizierter
Dienste. Die Hospizbewegung ist ein Anfang, der jedoch nicht ausreicht.
Bisher werden weniger als 5 % der Verstorbenen über diesen Weg betreut.
Die Ergänzung durch nichtkirchlich gebundene Dienste sowie insbesondere
die flächendeckende Förderung der Palliativmedizin sollte zügig vorangebracht
werden. Bewährte Modelle bedürfen politischer Entscheidungen zu einer
breiten Anwendung. (Z.B. Support Göttingen: Krebs im Endstadium. Die
Finanzierung über die Kassen ist seit 2002 geregelt.)
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Thema:
"Schaltjahr 2002". Rosa-Luxemburg-Stiftung auf Tour
Gedanken zum Problem Gesundheit und Altern
Autor:
Prof. Dr. med. habil. Dieter W. Scheuch
Krügerstr. 13. B
01326 Dresden
Termin:
21./22. Juni 2002
Ort:
Uni Hamburg Westflügel
Edmund-Siemers-Allee 1
Hamburg
Lageplan
Veranstalter:
- Rosa-Luxemburg-Stiftung
in Kooperation mit
- Rosa-Luxemburg-Bildungswerk Hamburg
- Regenbogen - für eine neue Linke
- Zeitschrift Sozialismus
Anmeldung
bitte schriftlich, per Fax oder als E-Mail: Rosa-Luxemburg-Stiftung,
z.Hd. Christian Brütt,
Franz-Mehring-Platz 1,
10243 Berlin,
Tel. 030-2978 1130
Fax: 030/29 78 11 84;
E-mail: Ch. Brütt
RLB Hamburg,
Tel. 0179- 2732844;
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