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Thesenpapier
Dr. Wiebke Buchholz-Will
Haushaltspolitik zu Lasten des Sozialen - durch die Geschlechterbrille
gesehen
- Fraueninteressen spielen in der deutschen Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik
nur eine marginale Rolle. Dies widerspricht den im GG kodifizierten
gleichstellungspolitischen Zielen und dem reformierten EU-Vertragswerk
von 1997. Mit diesem "Amsterdamer Vertrag" verpflichtet sich auch Deutschland
zur Verwirklichung von Chancengleichheit als einer der vier Pfeiler
aktiver Beschäftigungspolitik. Die Implementierung des Gender-Mainstreaming
in alle EU-Programme soll die Mitgliedsländer veranlassen, geschlechtsspezifische
Ungleichheiten in allen Politikbereichen abzubauen. Diese positiven
Ansätze werden jedoch durch den ebenfalls in Amsterdam verabschiedeten
Stabilitäts- und Wachstumspakt konterkariert: höchstens 3% Neuverschuldung
(Anteil am BIP), mittelfristig Rückführung auf Null und perspektivisch
Haushaltsüberschüsse sollen die Mitgliedsstaaten - unter Androhung von
Sanktionen - an eine strikte, neoliberale Haushaltsdisziplin binden.
- Diese EU-Politik (verantwortet im wesentlichen von den Regierungschefs
der EU-Länder im Europäischen Rat) übt einen starken Konsolidierungsdruck
auf die nationalen Haushalte aus, der mit der Expansion sozialpolitischer
Maßnahmen wie Programme zur Arbeitsförderung oder zur Verbesserung von
Chancengleichheit kaum vereinbar ist. Sie kann aber auch die Unterlassung
offensiven politischen Handelns rechtfertigen: Deutschland bewegt sich
mustergültig im europäischen Konzert der wirtschaftspolitischen Konvergenz.
Die Haushaltsdefizite bewegen sich seit 1996 unter 3% (z.Zt. 2%), die
Steuerquote wurde in dieser Zeit drastisch zurückgefahren (vor allem
bei den Unternehmensteuern) und die Ausgabenquote abgesenkt.
- Staatliche Aufgaben verursachen Ausgaben bei Bund, Länder und Gemeinden,
die in erster Linie über Steuern finanziert werden. Die Sozialversicherungsträger
finanzieren sich überwiegend aus Beiträgen. Seit Keynes wissen die Ökonomen,
dass Verschuldung Konjunktureinbrüche überwinden hilft: öffentliche
Aufträge erhöhen Beschäftigung, damit Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen,
Zinsen und Tilgungen können bedient werden (von denen im übrigen der
private Bankensektor profitiert). Eine konsequente quantitative und
qualitative Verbesserung der Frauenbeschäftigung wäre folglich nicht
nur gleichstellungspolitisch, sondern zugleich finanz- und wirtschaftspolitisch
sinnvoll. Öffentliche Aufträge sollten deshalb mit Auflagen zur Frauenförderung
verbunden werden. Ein Anstieg der Frauenerwerbsquote induziert zusätzliche
Beschäftigung im Konsumgütersektor, Haushaltsproduktion wird mit Hilfe
von Maschinen rationalisiert und bislang im Haushalt erbrachte Dienstleistungen
werden kommerzialisiert. In den letzten 30 Jahren sind in Westdeutschland
durch diese Effekte knapp 1 Mio. neue Arbeitsplätze entstanden.
- Die Sparpolitik wird nicht nur rigoros zu Lasten sozialer Leistungen
(u.a. Zuschüsse zu den Sozialversicherungsträgern, Sozialhilfe), sondern
auch zu Lasten der Länder und Kommunen durchgeführt. Länder sind u.a.
Träger der Schul- und Bildungspolitik sowie der Jugendhilfe. Die bessere
und flexiblere Versorgung mit Kinderbetreuungseinrichtungen (besonders
in Westdeutschland) ist unabdingbar für eine Erhöhung der Frauenbeschäftigung.
Die Professionalisierung von Betreuungs-, Erziehungs- und Pflegetätigkeiten
statt deren Hausfrauisierung schafft Arbeitsplätze und erhöht die Lebensqualität.
Mehr Investitionen in die Bildungspolitik sind für die wirtschaftliche
und demokratische Zukunft unerlässlich.
- Ebenso wie die Ausgabenseite ist die Einnahmenseite von sozialen und
Geschlechterschieflagen bestimmt. Die aktuellen Steuerentlastungsgesetze
bedeuten für den Zeitraum 2002-2005 kumulierte Steuerausfälle in Höhe
von 18o Mrd. DM bzw. 92 Mrd. Euro. Die immer größer werdende Schere
zwischen steigendem Lohnsteueraufkommen und sinkendem Gewinnsteueraufkommen
widerspricht dem Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
und verstößt damit gegen den Gerechtigkeitsgrundsatz. Vorrangig profitieren
große Kapitalgesellschaften (fördert die Konzentration!) sowie die Bezieher
großer Einkommen von den Steuerentlastungen; Niedrigverdiener haben
wenig oder keine (Sozialhilfeempfänger) Vorteile. Dabei sind diese Personengruppen
mit relativ hoher Konsumquote wichtiger für die wirtschaftliche Entwicklung
als Finanzkapitalbesitzer.
- Das Ehegattensplitting verfolgt im deutschen Einkommensteuer-recht
einen Edukationseffekt: Mit erheblichem finanziellen Aufwand (rd. 20
Mrd. Euro) wird Frauen signalisiert, dass ihre Erwerbstätigkeit nicht
mehr erwünscht ist, sobald sie verheiratet sind. Die aus dem Splittingtarif
resultierende Steuerklasseneinteilung in III (Alleinverdiener) und V
(Zuverdiener) entwertet Frauenarbeit durch einen niedrigen Nettoverdienst
und entsprechend niedrigen nettolohnbezogenen Lohnersatzleistungen (z.B.
Arbeitslosenunterstützung) und ist mit verantwortlich für die Abdrängung
vieler Frauen in prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Die traditionelle
Versorgerehe mit einem gutverdienenden Ehemann und der nicht erwerbstätigen
Ehefrau prägt nicht nur das Steuerrecht und die Sozialversicherungssysteme,
sondern ist zugleich Ausdruck eines überkommenden und frauenfeindlichen
Gesellschaftsmodells.
- Von der Finanzpolitik können fördernde (Beispiel Skandinavien) oder
eindämmende Wirkungen auf die Frauenbeschäftigung ausgehen (Beispiel
Deutschland). Die energische Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, soziale
Sicherung von Kindern und Familien, Alten und Pflegebedürftigen ist
vornehmste Aufgabe einer fortschrittlichen Finanzpolitik. Die weitest
gehende Privatisierung öffentlicher Aufgaben etwa im Verkehrs- und Gesundheitswesen
und die Ignoranz gegenüber gewandelten Ehe- und Familienstilen erreichen
dies ebenso wenig wie das neoliberale Grundparadigma, Steuersenkungen
für Unternehmen und ausgeglichene Haushalte würden positive Selbstheilungskräfte
entfesseln. Vielmehr sind grundlegende Reformen der Ehegattenbesteuerung
erforderlich (Individualisierung) sowie durchgängige Mindestsicherungssysteme
in der sozialen Versorgung, umfangreiche und qualitativ hochwertige
Kinder- und Pflegeeinrichtungen, Wiedereinführung der Steuern auf große
Vermögen und neue Steuern (Tobin-Steuer) auf das vagabundierende Finanzkapital.
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Thema:
"Schaltjahr 2002". Rosa-Luxemburg-Stiftung auf Tour
Haushaltspolitik zu Lasten des Sozialen - durch die Geschlechterbrille
gesehen
Autorin:
Dr. Wiebke Buchholz-Will
Termin:
21./22. Juni 2002
Ort:
Uni Hamburg Westflügel
Edmund-Siemers-Allee 1
Hamburg
Lageplan
Veranstalter:
- Rosa-Luxemburg-Stiftung
in Kooperation mit
- Rosa-Luxemburg-Bildungswerk Hamburg
- Regenbogen - für eine neue Linke
- Zeitschrift Sozialismus
Anmeldung
bitte schriftlich, per Fax oder als E-Mail: Rosa-Luxemburg-Stiftung,
z.Hd. Christian Brütt,
Franz-Mehring-Platz 1,
10243 Berlin,
Tel. 030-2978 1130
Fax: 030/29 78 11 84;
E-mail: Ch. Brütt
RLB Hamburg,
Tel. 0179- 2732844;
E-mail:info@rosa-luxemburg-bildungswerk.de
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