Sirenen der Ökonomie

 

Veranstaltungsbericht AG 1

Beschäftigung und Standortdebatte

Mit 25 Teilnehmern war der vom Promotionsstipendiaten der RLS, Christian Brütt, moderierte Arbeitskreis "Beschäftigungs- und Standortdebatte im `aktivierenden Sozialstaat`, gemessen an der GesamtteilnehmerInnenzahl besonders breit besucht.

Drei Themenschwerpunkte sind diskutiert worden, für die Dr. Alexandra Wagner (Forschungsteam Internationaler Arbeitsmarkt, Berlin), Dr. Christa Sonnenfeld (Komitee für Grundrechte und Demokratie, Frankfurt/M.) und Dr. Stephan Lessenich (Institut für Sozialpolitik, Universität Göttingen) Impulsreferate lieferten.

"Reformstau" und "Doppelgesicht des Wohlfahrtsstaates" standen im Zentrum des wissenschaftlichen Diskurses von Lessenich. "Reformstau", so Lessenich, war (Un)-Wort des Jahres`97 und wäre es wohl auch in den Folgejahren geworden, wenn diese Möglichkeit bestünde. Insbesondere in Wahljahren würden sich die Medien darin übertreffen, dem Wahlvolk wortreich "Nichts-bewegt-sich" als die wahre "deutsche Ideologie" zu suggerieren. Doch in dieser "Dynamik des Stillstandes" bewegt sich vor allem zunehmende Kritik am "Wohlfahrtsstaat", einhergehend mit einem real immer deutlicher werdendem Abbau seiner Alimentierungsfunktionen. Eine intelligente Definition des "Wohlfahrtsstaates" fehle in aktuellen sozialwissenschaftlichen Debatten laut Lessenich eigentlich völlig. Zugleich setzte er sich insbesondere mit der neosozialdemokratischen Kritik des Wohlfahrtsstaates, in Persona mit Wolfgang Streeck - prominenter wissenschaftlicher Berater im "Bündnis für Arbeit" - auseinander, der vehement vor der Realutopie einer "entkommodifizierten Gesellschaft" und der drohenden Kreuzbergisierung der Republik warnt.

Die Einführung der Begriffe Kommodifizierung und Dekommodifizierung in die Debatte des Arbeitskreises war dabei klärungsbedürftig und umstritten, indem die Frage nach einer neuen Qualität im Umgang mit dem Sozialstaat bzw. seiner immer weiterführenden Absage an "solidarisch finanzierte Ruhezonen" ohne vorherige Leistungen gestellt wurde.

Sehr anschaulich vermittelte Sonnenfeld in ihrem Beitrag, wie der sogenannte Wohlfahrtsstaat mit der aktuellen sprachlichen Regelung von "Fördern und Fordern" (europaweit) den Druck nicht nur auf EmpfängerInnen von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe erhöht, sondern auch auf ArbeitnehmerInnen. "Notlagen sollen zum Motor werden", so Sonnenfeld, um fehlende wirtschaftliche Prosperität wieder anzukurbeln. Dabei nehme auch die Aggressivität unter mittleren Erwerbsschichten und selbst in den Gewerkschaften zu, in denen zunehmend vom "Gebot der Vernunft", von "Rechten und Pflichten der vom Sozialstaat Alimentierten" gesprochen wird.

Große Firmen bilden massenhaft Qualifizierungsgesellschaften oder kündigen Selbiges an, um ohne Abfindungen Entlassungen durchsetzen zu können und obendrein noch von der Bundesanstalt für Arbeit zu kassieren. Der Druck in Billiglohnjobs oder fragwürdige Qualifizierungsmaßnahmen steige besonders in Anbetracht der bevorstehenden Wahlen. Frauen müssen bei Inanspruchnahme sozialer Leistungen noch mehr als Männer einer Verletzung ihrer Grundrechte in Kauf nehmen.

Die Frage, warum es noch so wenig organisierten Massenprotest gegen die zunehmende Demontage des verbliebenen Sozialstaates gibt, für die in der Diskussion im Arbeitskreis zahlreiche weitere Beispiele angeführt wurden, blieb im Raume stehen. Kritisch hinterfragte Sonnenfeld indes Wagner im Zusammenhang mit ihrer Forderung nach "Regeln" für den Sozialstaat. Diese würden, so Sonnenfeld, ohnehin wieder von jenen aufgestellt, die denselben weiter herunterfahren wollten.

O.g. Forderung nach Regelaufstellung und nicht voraussetzungsloser Lohnersatzleistungen/Alimentierungen skizzierte Wagner im Kontext ihrer Eingangsfeststellung, dass Vollbeschäftigung (nicht gemeint war die der Männer dominierten der Nachkriegsbundesrepublik) politisches Ziel bleiben müsse für all jene, die einer Erwerbsarbeit nachgehen können und wollen. Wie die vorhandenen Möglichkeiten von Erwerbsarbeit in der Gesellschaft verteilt und vergütet würden, darüber müsse in der Gesellschaft die Diskussion geführt werden. Ferner ginge es insbesondere auch um ein Leitbild eines "neuen Normalarbeitsverhältnisses", das alle Mitglieder der Gesellschaft einschließe im Gegensatz zur bisher männlich dominierten.

 

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Thema:
"Schaltjahr 2002". Rosa-Luxemburg-Stiftung auf Tour


Veranstaltungsbericht
AG I: Beschäftigung und Standortdebatte


Termin:
21./22. Juni 2002

Ort:
Uni Hamburg Westflügel
Edmund-Siemers-Allee 1
Hamburg

Lageplan

Veranstalter:

  • Rosa-Luxemburg-Stiftung
    in Kooperation mit
  • Rosa-Luxemburg-Bildungswerk Hamburg
  • Regenbogen - für eine neue Linke
  • Zeitschrift Sozialismus
Anmeldung
bitte schriftlich, per Fax oder als E-Mail: Rosa-Luxemburg-Stiftung,
z.Hd. Christian Brütt,
Franz-Mehring-Platz 1,
10243 Berlin,
Tel. 030-2978 1130
Fax: 030/29 78 11 84;
E-mail: Ch. Brütt

RLB Hamburg,
Tel. 0179- 2732844;
E-mail:info@rosa-luxemburg-bildungswerk.de